Archivare im kosmischen Fundbüro

Der Kommunismus ist tot, das weiß seit 1989 jeder. Aber kann ein Gespenst überhaupt sterben? Das internationale Performance-Kollektiv andcompany&Co. hat in der alten wie in der neuen Welt, im Weltraum und im Irrealis recherchiert – und antwortet mit einem entschiedenen Nein. So wird in den eigenen Bühnenstücken der Utopie ein Refugium gebaut, von der russischen Avantgarde über Sputnik-Träumen zu John-Lennon-Chats.

Die Umwandlung ideologischer Versatzstücke in wundersamste Licht, Text- und Klanginstallationen bezeugt andcompany&Co. auch mit der Uraufführung ihres jüngsten Projekts „Time Republic“ beim steirischen herbst. Am 4. Oktober 1957 startet vom sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur eine Interkontinentalrakete. An ihrer Spitze befindet sich ein kugelförmiges Objekt von 58 cm Durchmesser. Kurz darauf erreicht Sputnik 1 als erster von Menschen geschaffener Gegenstand den Weltraum und strahlt dort für 21 Tage ein so einfaches wie markantes Kurzwellensignal aus. Hatte man auf amerikanischer Seite bis zu jenem Tag geglaubt, den Kommunismus in territoriale Schranken weisen zu können, so war er plötzlich überall, zumindest überall zu empfangen. Auch wenn mit dem Verglühen von Sputnik 1 das Kurzwellensignal einstweilen verschwand, so blieben die Vereinigten Staaten nachhaltig geschockt und ihr Kampf gegen den Kommunismus entwickelte endgültig universellen Charakter. Fünfzig Jahre nach dem Sputnik-Schock scheint lediglich jede Menge materieller und ideologischer Weltraumschrott von den Aktivitäten jenes kommunistischen Gespenstes zu zeugen, das vor über 160 Jahren von Europa aus begann, in der Welt umzugehen. Was im Nachhall des großen, theatralischen Knalls der Oktoberrevolution 1917 erstmals staatliche Formen angenommen hatte, endete 1991 mit dem Zerbröseln der letzten Reste des Eisernen Vorhangs.

Seit 2003 nun entwickelt das internationale Theorie-, Performance- und Theaternetzwerk andcompany&Co. in Bühnenstücken, Installationen, Interventionen und Texten umfangreiche Reanimationsprogramme, die sich einem sang- und klanglosen Verschwinden des einst so agilen Gespenstes entgegenstellen. Mit ihrem höchst flexibel einsetzbaren Instrumentarium an Arbeits- und Präsentationsformen, entsprechenden Materialien und vor allem den beteiligten Akteuren aus Musik, Literatur, Philosophie, Theaterwissenschaft, Politik und bildender Kunst bereist andcompany&Co. die Weiten der postmodernen Kulturlandschaften, um sich jeweils dort temporär anzusiedeln, wo man auf die Widerstände eines drohenden Utopieverlusts stößt.

Ein Prototyp für alle aktuellen Projekte wird von Nicola Nord, die fest im Netzwerk der andcompany&Co verankert ist, bereits im Jahr 2004 entwickelt. Für „little red (room): an automobil archive for utopias, lost and found“ spricht sie mit Anhängern der letzten großen Utopie des 20. Jahrhunderts und präsentiert die gesammelten Materialien als fahrbare Klang-, Video- und Textinstallation. Kommunisten berichten darin über die Trauer, das Schweigen und die Menge uneingelöster Hoffnungen und Forderungen, die bleiben, wenn einem die Utopie auf vermeintlich endgültige Weise abhanden kommt. Als Archivarin lässt sich Nicola Nord von ihrem künstlerischen Alter-Ego „Little Red“ vertreten, die als junge West-Pionierin ebenso wie alle anderen andcompany&Co.-Protagonisten den Kommunismus westlich des Eisernen Vorhangs erlebt hat. Anfang 2006 folgt andcompany&Co. einer Einladung nach New York. Mit dabei sind Alexander Karschnia als Autor, Performer und Theoretiker und der Sound-Artist, DJ und Musiker Sascha Sulimma. Auf dem Territorium des einstigen Erzfeindes des Kommunismus will man der Frage nachgehen, von wem und wo heute überhaupt noch über den Kommunismus geredet wird. Internet-Chatrooms liefern eine Antwort. Für das Stück revolutionary timing“ überträgt andcompany&Co. die Kommunikationsgesetze des Chats auf die Bühne und inszeniert eine Sprech-Oper im Kurzformat: „Let’s discuss the greatness and retardedness of John Lennon here! – He’s ok, but I like Jesus better! – I hate Lennon, he was a communist! – He died like a thousand years ago, get over it buddy!“

„Wir sınd da mit Heiner Müller ganz einer Meinung, dass die DDR einfach ‚ein gutes Material’ ist. Und das 17 Jahre nach ihrem Ende – und zwölf Jahre nach Müllers!“, erklärt Alexander Karschnia. So unternimmt die Gruppe mit „little red (play): herstory“, diesmal mit der West-Pionierin als Temponautin, eine Zeitreise in den Irrealis. Was wäre gewesen, wenn es in der Silvesternacht 1999 die DDR noch gegeben hätte? Aus der Perspektive des dritten Jahrtausends als dramaturgischem Rahmen konstruiert man das Doku-Märchen einer Vergangenheit, die Little Reds Gegenwart hätte gewesen sein können. Aus history wird herstory. Eine Low-Tech-Theatermaschine vom New Yorker Installationskünstler Noah Fischer liefert die Bühnen-Hardware. Scheinwerfer, eine handbetriebene Lichtorgel aus Sperrholz und verzwirbelten Drähten sowie ein Chatroom-Setting aus Fußtretleuchten schaffen auf der Bühne eine retro-futuristische Zeitblase. Darin proklamieren, singen und zitieren die Performer Textmaterial vom sozialistischen Liedgut bis zur antikommunistischen Agitation Ronald Reagans. Wenn Bini Adamczak von Little Reds Abenteuern im Irrealis berichtet, krümmt sie den literarischen Raum so weit, dass Brecht, Müller und die Gebrüder Grimm gleichberechtigt nebeneinanderstehen. All das geschieht vor einer Text-Skyline der israelischen Künstlerin Hila Peled, in der sich Pappbuchstaben an Holzlatten wie fehlerhafte Downloads aus der russischen Avantgarde lesen. HÖRT, USSAR, BRDDR, KOMM – und natürlich SPUTNIK. „Was in ‚little red (play): herstory’ begonnen hat – dıe Ausweitung der Kampfzone auf die SU und USA – wird jetzt konsequent fortgeführt ın den Kosmos hinein. ‚Das deutsche Theater braucht einen Sputnik-Schock’, soll ich in einer Text-Session vor ein paar Jahren gesagt haben“, bekennt Alexander Karschnia. Getreu diesem Motto werden im neuen Projekt „Time Republic“, das beim steirischen herbst zur Uraufführung kommt, die multimaterialen Utopie-Reanimationsversuche von andcompany&Co. Universellen Charakter annehmen. Mit ihrem Theorie- und Performancesystem der Temponautik wird andcompany&Co. dem gejagten Gespenst des Kommunismus einen weiteren Raum eröffnen, ein weiteres „archive for utopias, lost and found“, in dem zur Sprache kommen kann, was dem Schweigen über die Utopie des Kommunismus folgen könnte: ein utopisches Erzählen, worin aus dem Ende der Geschichte ein Anfang für neue Geschichten
wird und die Einstellung des erlösenden Sinns getrost auf einen hellen Tag in ferner Zukunft verschoben werden kann. Das ist kein falsches Versprechen mehr, das ist wahrhafter Trost.

 

Autor

Marcus Droß

Veröffentlicht

herbst. Theorie zur Praxis, Magazin zum steirischen herbst 07, 2007-09-01