HÖRT

andcompany&Co. – bereits der Name dieses Theorie-, Performance- und Theaternetzwerkes mit seiner offenen wie zugleich verbindlichen Struktur ist Programm. Seit 2003 bereist die Gruppe die Weiten der postmodernen Landschaften von Theater, Kultur und Politik, um sich jeweils dort temporär anzusiedeln/einzunisten/niederzulassen, wo die jeweils aktiven Mitglieder auf Widerstände stoßen: seien es die Pforten des 2003 geschlossenen Experimentaltheaters TAT in Frankfurt, die Außengrenzen der Europäischen Union oder, wie zuletzt, der eiserne Vorhang und über seine Öffnung das Verschwinden der politischen Utopie des Kommunismus.

Eine weitere Programmatik ist dem Namen des Netzwerkes eingeschrieben: &Co. – das Prinzip des Re-Mix, oder besser, weil materialumfassender, der Re-Animation. Denn all diese Widerstände, derer sich die andcompany&Co. annimmt, werden zu Anlässen, um Ausgegrenztes, Zurückgelassenes, überwunden Geglaubtes einzusammeln und über eigene Strategien zu einem Comeback im Hier und Jetzt einer Kultur, die alles (selbst das Ende der Geschichte) überwinden zu können glaubt, zu ermöglichen.

Damit das Vorhaben einer solchen Vergegenwärtigung nicht bloße Theorie bleibt, sondern für alle Beteiligten (den Zuschauer eingeschlossen) erlebbare Praxis wird, bedarf es weiterer Strategien, die sich die andcompany&Co. auf gemeinsam wie getrennt verlaufenden Pfaden in den vergangenen Jahren erarbeitet hat. Von ihnen soll im Weiteren anhand mehrerer Produktionen berichtet werden.

KOMM

Nicola Nord ist als Performerin und Sängerin von Beginn an im Netzwerk der andcompany&Co. fest verankert. 2004 machte sich von ihrem damaligen, temporären Arbeitsort DasArts (Amsterdam) aus auf die Suche nach Kommunistinnen und Kommunisten. Sie sucht dabei gezielt nach Menschen, die in den Zeiten des real- existierenden Sozialismus diesseits, also westlich des Eisernen Vorhangs lebten und das im festen Glauben an eine gesellschaftliche und politische Utopie des Kommunismus – zumindest bis zu jenem Tag, an dem sich der eiserne Vorhang endgültig hob, die Mauer fiel und jedes weitere Festhalten an der Utopie obsolet zu werden schien.

Im Rahmen ihrer Recherche sprachen Anhänger der letzten großen Utopie des 20. Jahrhunderts mit Nicola Nord über die Trauer, die Leere und das Schweigen, das sich verbreitet und darüber, was bleibt, wenn einem die Utopie abhanden kommt: jede Menge uneingelöster Hoffnungen und Forderungen. Archive for Utopias, lost and found nannte Nord die auto-mobile Inszenierung ihrer gesammelten Dokumente und Materialien. Damit rollte sie durch die europäische Theater- und Festivallandschaft und verschaffte den Erzählungen der einstigen Utopisten Gehör.

USSA

Vor dem Hintergrund dieser akustischen Nahaufnahmen aus dem archive for utopias, lost and found folgt die andcompany&Co. Anfang 2006 einer Einladung nach New York. Mit dabei sind Alexander Karschnia als Autor, Performer und Theoretiker und der Sound-Artist, DJ und Musiker Sascha Sulimma. Auf dem Territorium des einstigen Erzfeindes des Kommunismus will man der Frage nachgehen, von wem und wo heute überhaupt noch über den Kommunismus geredet wird, geredet werden kann.

In REVOLUTIONARY TIMING findet die andcompany&Co. mit der Erfindung des Bühnen-Chats die Antwort und inszeniert sie in Form einer Sprech-Oper im Kurzformat. Eine low-tech Theatermaschine, die der in New York lebende Objekt- und Installationskünstler Noah Fischer für die Aufführung kreiert, liefert die notwendige Hardware. Es sind Lichtmaschinen, deren Material-Sampling manchen Bühnenmeister in Angst und Schrecken versetzen dürfte, angesichts der anarchischen Lust, mit der sicherheitstechnische Kalkulation im Umgang mit Elektrizität durch handverzwirbelte Drähte und Kontakte in kleinen Holzkisten ersetzt wird.

Ein auf diese Weise gebautes Lichtpult, Scheinwerfer, eine von Hand betriebene Lichtorgel und ein Chatroom-Setting aus Fußtretleuchten schaffen auf der Bühne eine retro-futuristische Zeitblase. Darin bewegen sich die Performer der andcompany&Co., proklamieren, singen, zitieren ihre Textmaterialien, die vom sozialistischen Liedgut bis zu antikommunistische Agitationsversuchen von Ronald Reagans reichen. Vor allem jedoch werden Chats improvisiert: „Let’s discuss the greatness and retarded ness of John Lennon here! – He’s ok, but I like Jesus better! – I hate Lennon, he was a communist! – He died like a thousand years ago, get over it buddy!“

Das, was der Chat-Generation mit großer Freude vorgeworfen wird – sich nicht mehr ernsthaft um die Generierung von Sinn zu kümmern – entwickelt durch die Verlautbarung des Bühnen-Chats ein neues, enorm musikalisches Potenzial. Der Rhythmus der schnellen Wortwechsel, die assoziative Drastik der Bezüge, die eiserne Regel, dass jeweils nur einer zu Wort kommen kann, all diese Funktionen halten das Sprechspiel Chat am Laufen. Doch vor allem halten sie den Text auf der Kippe. Jeder dramaturgische Sinn- und Vermittlungswille wird im Sprech-Chat musikalisch aufgerieben, nicht ohne Widerstand der nach Sinn strebenden Worte, doch sie alle müssen gewaltige Reibungsverluste hinnehmen, zu Gunsten der energiereicher Klangkaskaden, die dabei freigesetzt werden.

BRDDR

Eingeladen zum Festival „Freischwimmer – Plattform für junges Theater“ entwickelt die andcompany&Co. im Herbst 2006 ihre Performance „little red (play) – herstory“. In den vorangegangenen Stücken bereits als Figur etabliert unternimmt darin die junge Pionierin little red alias Nicola Nord eine Zeitreise in den Irrealis : Was wäre gewesen, wenn es in der Silvesternacht 1999 die DDR noch gegeben hätte? Aus der interstellaren Perspektive des 3. Jahrtausends, so der dramaturgische Rahmen, blicken die Temponauten der andcompany&Co. auf little red’s junge Geschichte und die politische Utopie des Kommunismus zurück und konstruiert das Doku-Märchen einer Vergangenheit, die little red’s Gegenwart hätte gewesen sein können: aus history wird herstory.

Es ist nicht das erste Mal, dass little red als Nicola Nords künstlerischem alter ego dabei jenen Spagat vollführt, der für die inhaltliche Spannung sorgt. Aufgewachsen in der BRD verbringt sie, wenn alle anderen Kinder im Sommer in den Süden fahren, die Ferien in einem Pionierlager der DDR. Dort kommt es auch zu jener, für little red’s Zeitreise relevanten Verabredung mit ihren Freunden, sich in der Silvesternacht 1999 unter dem Ost-Berliner Fernsehturm zu treffen.

Die Figur der little red ist dabei nicht das einzige Material, was in Form einer multimaterialen (Re-)Animation erneut in Erscheinung tritt. Abermals wird leidenschaftlich gesprochen, gesungen und gechattet, Text und Musik aus REVOLUTIONARY TIMING liefern betriebsinterne Vorlagen, auf die sich die andcompany stützt, wenn sie zur Sprache kommen lassen will, was ihrer Meinung nach dem Schweigen über die Utopie des Kommunismus folgen könnte: ein utopisches Erzählen, aus dem Ende der Geschichte ein Anfang für neue Geschichten wird.

So sitzt die Autorin und Performerin Bini Adamczak in little red (play) dann auch an ihrer literarischen Werkbank zwischen Papier und Low-Tech-Lichtpult und erzählt den Anwesenden von little red’s Reise durch die Zeit. Dass sich dabei der literarische Raum so weit krümmt, dass Brecht, Müller und die Gebrüder Grimm gleichberechtigt nebeneinander stehen, verwundert kaum.

Gemeinsam mit Noah Fischer fertigt die Medien- und Objektkünstlerin Hila Peled den Temponauten ihre räumliche und körperliche Ausstattung. Der Bühnenraum wird zur Textlandschaft, die an die produktivsten Zeiten der russischen Avantgarde erinnert. Zwischen Noah Fischer’s schlichten Arbeitsplätzen erhebt sich eine Text-Skyline aus Pappbuchstaben an Holzlatten: HÖRT – USSAR – BRDDR – KOMM – INTE – ZU – SPUTNIK – ON – S – U – REPUBLIK. In dieser Raumstation agieren die Performer mit überdimensionalen Masken, ob als Uhr mit losen Zeigern, als monströse Micky-Maus oder als Berliner Fernsehturm (für Alexander Karschnia).

Zu rhythmischem Leben erwacht die Textstadt im Schein der Lichtorgel, die es erlaubt, über eine im Zentrum platzierte Kurbel einzelne Leuchten, am Rand des Aufführungsraumes anzusteuern. Der Reihe nach, je nach Geschwindigkeit des Kurbelns, setzt sich die Textstadt in Bewegung, wirf ihre Schatten zu allen Seiten. So wird auch hier der Text zu Musik; ergriffen vom Puls der flackernden Lichter entschwindet der Inhalt – große Musik statt schwerer Worte. Kaum kommt die Lichtmaschine zur Ruhe, stehen die Worte in ihrer gebrochenen, pappkameradenhaften Unbeholfenheit wieder verloren im Raum herum oder versammeln sich verschämt in einer Ecke.

Es ist die enorme Souveränität der andcompany&Co., dass sie ihrem Material, ihren Mitgliedern und Zuschauern gestattet, sich permanent zu verändern. Denn alle Bühnenhandlungen, die immer (auch) akustische sind, stellen jedes Geschehen im Augenblick des Ereignisses dem Vergessen anheim. Erinnern (machen) und Vergessen (machen) sind gleichermaßen zentral. Jede Handlung, die sich eines historischen (Gedächtnis-) Materials annimmt, beinhaltet gleichermaßen eine Strategie, es wieder aus Auge und Ohren zu verlieren

Wenn Alexander Karschnia versteckt hinter einer Dagobert Duck-Maske die Frage stellt, woher nur all die Kommunisten kommen (Antwort: „Nobody knows.“) oder er sich bemüht, Bini Adamczak’s poetische Prosa über das Wollen und Wirken der Temponauten auf eine höhere Sinnstufe (in englischer Sprache) zu versetzen, oder ob Walt Disney’s Aussagen vor dem Komitee für unamerikanische Aktivitäten in einem nicht enden wollenden Fragenkatalog und Ronald Reagan’s Angst vor den Kommunisten im Bühnen-Chat zermahlen werden, trägt dies bei aller Schärfe der Inhalte auch zu ihrer Auflösung bei.

Wenn das noch nicht reicht, wird wieder die Lichtorgel gedreht oder man rennt, Hauptsache, Energie wird freigesetzt. All das bleibt stets ein Spiel, wirkt dabei angemessen ungeprobt, bleibt provisorisch, ohne Antwort. Es ist ein Spiel mit dem Imperfekten, was die Einstellung des erlösenden Sinns getrost auf jenen hellen Tag in ferner Zukunft verschieben kann und sagt: jetzt ist nur das, was ist. Das Hier und Jetzt. Das ist kein falsches Versprechen mehr, das ist wahrhafter Trost.

Autor

Marcus Droß

Veröffentlicht

2006-11-07