Über andcompany&Co.

Mai 2004. Das Frankfurter Theater am Turm wird geschlossen: „Stadtsterben, Theatertod.“ – so klingt der Abgesang der Avantgarde. Dazu tanzen fünf Performer einen albern-erhabenen Sirtaki, den Tanz der Buchstaben um den Turm. Es ist das erste große Projekt von andcompany&Co., „for urbanites – nach den großen Städten“. Darin wird die Geschichte des TAT und des Viertels Bockenheim mit Brechts Goldgräberstadt Mahagonny kurzgeschlossen: Ist das Gold, respektive die Kultur, alle, so ziehen die Goldgräber weiter. Das internationale Künstlerkollektiv jedoch zog zunächst nach Amsterdam, dann nach Berlin, wo es artist-in-residence am HAU ist. Seine Stücke liefen unter anderem beim Brüsseler KUNSTENFESTIVALDESARTS (2007), beim steirischen herbst in Graz (2007), Wiener Festwochen (2008) beim Festival Impulse (2009) und beim Dortmunder Festival favoriten 08 – Theaterzwang (2008), wo „little red“ den Preis des NRW-Kultursekretariats erhielt.

andcompany&Co. wurde 2003 in Frankfurt am Main gegründet von dem Autor und Theaterwissenschaftler Alexander Karschnia, der Sängerin und Performerin Nicola Nord und den Musiker und DJ Sascha Sulimma. Der nach vorn und hinten Anschluss schaffende Name ist Programm: Es versteht sich als offenes Netzwerk, das mit Künstlern verschiedener Sparten kollaboriert – bisher beispielsweise mit der Autorin Bini Adamczak, den bildenden Künstlerinnen und Künstlern Noah Fischer, Hila Peled und Jan Brokof, dem Komponisten Thomas Myrmel und dem Neue Musik-Ensemble MAE. Dabei ist Teil des Spiels, dass die Kollaborateure als Performer mit auf der Bühne stehen. In Laboratorien, sogenannten &Co.LABs, erarbeitet andcompany&Co. kleine, schnelle Projekte mit wechselnden Partnern, initiiert als Versuchsanordnung für eine gemeinsame künstlerische Zukunft.

Seine Stücke sind Arsenale einer Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie führt von Mahagonny aus über die (Be-)Gründung Europas („europe an alien“, 2006) zur ‚Trilogie des Wiedersehens mit dem 20. Jahrhundert‘ über Geschichte und Ende des Kommunismus („little red (play): ‚herstory‘“, 2006; „time republic“, 2007; „Mausoleum Buffo“, 2009) und das Hamlet’sche Drama des tatenlosen Prinzen („showtime. trial & terror“, 2008) zum kapitalen letzten Sommer der Indianer („West in Peace“, 2009), einem brasilianisierten Brecht („FatzerBraz“ 2010) und einem aktualisierten Lenz („Pandämonium Germanicum: Lenz im Loop“ 2011). In einer offensiven Assoziationspolitik werden die kollektiven Dachbodenschätze durchstöbert, kein Fundstück ist ungelöst vom anderen denkbar:

Der Mauerfall und die Beatles, Erich Honecker und Dagobert Duck, John Lennon und Vladimir Lenin, Karl Marx und Karl May werden zu einem dichten Verweissystem verknüpft, einem Schlagabtausch der Zitate, die Verwandtschaftslinien anzeigen. So spuken die untoten philosophischen, politischen und popkulturellen Ideen von gestern vielstimmig durch ein Theater für die Gegenwart, das mit Netzen und dotcoms, aber ohne Kopierschutz operiert. Was die Recherche zutage fördert, wird nach den musikalischen Prinzipien von Sampling und Remix verarbeitet: Himmelsrichtungen, die Ideologien und Utopien anzeigen, werden geschreddert, in neue Kontexte gestellt und verschoben.

Die Stücke von andcompany&Co. sind Geisterbahnfahrten durch kollektive Gedächtnishalden, und im Wieder- und Widersprechen philosophischer und ästhetischer Versatzstücke von gestern werden Utopiefetzen plötzlich wieder vorstellbar. In den verschollenen, wiederversprochenen Phrasen wird post-postmodern die Wirkmächtigkeit der Sprache überprüft, ihre Fähigkeit, Realitäten zu schaffen: „How to make Ernst with words?“, hieß es 2006 in der Lecture-Performance „Kriegserklärung“. Wie kann aus den Zitaten Ernst werden, Tun aus Tun-als-Ob? Damit werden auch die Bedingungen des Performens selbst zur Disposition gestellt.

Seine kollaborative Arbeitsweise schließt eng an die Verhandlungsgegenstände an, der künstlerische Prozess ist praktische Utopieproduktion: Er behauptet Heterogenität und Anschlussfähigkeit, viele Kollaborateure haben in der Bühnensprache ihre Spuren hinterlassen – und umgekehrt. Und doch sind die Markenzeichen stets unverkennbar. Die ausgeräumten Bühnen sind Textlandschaften und Erinnerungsräume, in denen sich die Handlungen der Performer ablagern, sie sind Spielräume, Materialsammlungen und Recherchewüste, in denen (fast) alles von Hand gemacht wird. Denn die Lichtmaschinerie aus Glühbirnen und anderem Gefunzel wird von den Künstlern gefahren, die komplexe Klangmaschinerie aus Gongs, einem Kinderklavier, singenden Telefonhörern und vorproduzierten Remixes von hier aus abgespielt: Die Bühnenmaschine ist Performance. An- und abknipsend werden Geschichten erzählt und wird Geschichte gemacht, mit Walter Benjamin führt die Reise in die Zukunft durch die Reste und Spuren der Vergangenheit: Blick zurück nach vorn! So betreiben andcompany&Co. Temponautentheater mit Performern als Zeitreisenden, die den Zeitstrahl als Absprungschanze in eine Zukunft benutzen.

Autor

Esther Boldt