Text mich nicht zu! Mobile Textkulturen mit andcompany&Co.

Magdalena Taube, Berliner Gazette, 2010-10-24

“Schreiben heißt riritzen, reißen, zerzerfetzen.” Jeder Buchstabe rollt genüsslich über die Zunge, bevor er den Mund verlässt und elektrisch verzerrt wird. Zeitgleich reißen Zeitungsblätter, Worte vermischen sich, schleppende Beats erklingen – bis der Gong ertönt. Die Performance-Gruppe andcompany&Co. fand einen äußerst originellen Zugang zu dem Thema des Symposiums Mobile Textkulturen, das sie am Freitagabend im Berliner ICI mit einer Lecture-Performance eröffnete.

Eine wohlbekannte Szene: Eine Bühne, im Scheinwerferlicht, eine Tischreihe, sechs Stühle und Konferenzgetränke. Es fehlen nur noch ein paar Namensschilder. Man denkt: Hier könnte jeden Moment die Pressekonferenz des DFB losgehen. Doch die Mitglieder von andcompany&Co., an diesem Abend um zwei Stimmwunder und einen Musiker aus Brasilien erweitertet, betreten die Bühne. Nehmen Platz, legen los. “Tropicalypse Now!” nennen sie ihre Performance.

“Schreiben ist notwendig, leben nicht.” (nach Flusser) ist der erste Gedanke, der dem Publikum vorgestellt wird. Er wird übersetzt, gewendet, mit anderen Ideen erweitert. “Wer schreibt, ist ein Tiger, er zerreißt Bilder.“ (nochmal Flusser) gesellt sich als bildhafter Satzfetzen hinzu. So geht es weiter. Die mobile Textarbeit der Theatermacher wird durch überraschende Verknüpfungen von Wahrnehmungskanälen auf die Bühne gebracht. Das klassische Set-Up des Symposiums psychedelisiert sich zusehends.

Der Wortschwall der drei Wortworker Alexander Karschnia, Marianna Senne und Manuela Afonso wird von den Musikern Sascha Sulimma, Gorgi Peña and Jan Brokof immer wieder unterbrochen, mit Sounds unterlegt, verzögert und verzerrt. Man spürt: Das System der Schreibmaschine besteht eben nicht nur aus Worten.

Der schräge Sound der Demokratie

Diese polysensuale Schreibmaschine, die hier performativ auf der Bühne steht, will auf vieles hinaus, lässt vieles offen, stellt jedoch – und das ist bemerkenswert – keine Fragen. Sie findet jedoch immer Zeit für einen wichtigen Hinweis: Das Substantiv “Text” sei heute zu einem Verb, zu einer Tätigkeit geworden. Die Schrift hat ihr Comeback also nicht nur auf und mit den digitalen Verarbeitungsgeräten gefeiert, sondern ist inzwischen auch Teil der gesprochenen Kommunikation. Wie sonst könnte man sich Ausrufe wie “Text mich nicht zu!“ erklären (gerade so, als würden Menschen in Sprechblasen miteinander kommunizieren, deren Inhalt nur eines sein kann: Text).

Die Allgegenwart des Wortes, hat die Welt des Wortes auf den Kopf gestellt. Das schmeckt nicht jedem. Von einer Scriptophobie ist die Rede. Immerhin ist die “Schrift ist der schräge Sound demokratischer Dissonanz.”

Berliner Gazette