Auch ein Einhorn spielt mit - In Schwedt untersucht andcompany&Co feat. Arbeiterinnentheater die Industriegeschichte der Stadt.

Schwedt. Diese Inszenierung ist Schwedt auf den Leib geschneidert. Gleichzeitig bringt sie historische Themen auf den Plan, die weit über Schwedt und die DDR hinausweisen. Da ist das Petrolchemische Kraftwerk (PCK) mit allen technischen und politischen Visionen, seine Mitarbeitenden und ihre individuellen Geschichten. Da ist das Arbeitertheater, das Anfang der 1960er von Gerhardt Winterlich gegründet wurde und für das er 1968 das Erfolgs- Stück „Horizonte“ schrieb, das ein Jahr nach der Uraufführung in Schwedt seinen Weg an die Volksbühne Berlins fand, in Adaption Heiner Müllers. Und da sind erste Ideen zur Kybernetik, zukunftsweisend, ehe sie politischen Wetterwechseln zum Opfer fielen. Mit ihnen kommen Fragen nach der Automatisierung von Produktion durch Computer, Selbstoptimierung, Digitalität, Arbeitswelten und Effizienz. Fragen, die aktueller sind denn je. Die Bühne versetzt das Publikum in einen futuristisch-industriellen Trashtraum. Röhren ragen aus Boden und Wänden. Große, wabenhafte Kuben sind wie Raumkapseln aufgestellt. Eine Projektionsfläche, einige Klappstühle. Darsteller in silbernen, spacigen Anzügen. An den Bühnenrändern drei Stationen voller Schlagwerk, Pulte und Technik. Die elektronische Live-Musik ist sphärisch, dynamisch, viele Klänge und Effekte sind analog erzeugt, obwohl sie elektronisch anmuten. Das Berliner Theaterkollektiv andcompany&Co arbeitet vielschichtig unter Einbindung komplexer, wort-verspielter Texte in digitalen wie realen Bühnenwelten und ohne je die Verbindung zu verlieren. Das Ergebnis ist ein dichtes Netzwerk aus visuellen und Sound-und Text-Elementen, in dem Digitales und Analoges spielerisch kombiniert werden. Alles entwickelt einen unaufdringlichen, absurden Humor. Eine Komik aus Röhren-Dialogen, Adapter-Sozialismus, einem aufblasbaren Einhorn als wunderlichem Zitat aus der ersten Schwedter Inszenierung der „Horizonte“ oder einer ferngesteuerten Wanne, die über die Bühne saust. Dann wieder poetisch ruhige, spektakuläre Bilder aus der Vogelperspektive einer Drohnen- Kamera auf das weite Land und die Industriekulisse Schwedts. Die Mitglieder des historischen Arbeitertheaters geben der Inszenierung ihre besondere Würze. Ob sie nun digital als Video, Hologramm oder erfrischend real in Erscheinung treten, sind es doch ihr Zeugnis, ihr Ton und ihre individuellen Geschichten, die man als festen Boden im komplexen Ideengewebe unter den Füßen spürt. Beim Verlassen des Theaters brennt unübersehbar der Raffinerieturm. Wie eine riesige Fackel führt er die Dramaturgie der Inszenierung fort, sein Widerschein ist noch weithin am Horizont zu sehen.

 

Autor

Janina Reinsbach

Veröffentlicht

Märkische Oderzeitung, 18.09.2021