Krieg spielen

Magdalena Taube, berlinergazette, 2010-03-26

Ein Kinderzimmer, DDR 1988. Meine Freundin Antje und ich streiten uns leidenschaftlich: wollen wir “Familie”, “Krieg” oder “Kaufmannsladen” spielen? Antje setzt sich durch und wir spielen “Familie”. Langweilig, kaum Spielraum, da wir nur zu zweit sind. Es endet, wie immer, mit Scheidung. Wenig später kommen meine beiden Brüder dazu. Endlich ist wieder Krieg!

Die wichtigen Situationen des Lebens werden schon im Kinderzimmer durchgespielt: Wir dreschen Phrasen, die wir von Erwachsenen oder aus Filmen aufgeschnappt haben (“Die feindliche Linie durchbrechen!”), vermischen die Sätze mit Versatzstückhandlungen, die wir aus den Nachrichten kennen (“Friedensabkommen unterzeichnen”) und fertig ist der Krieg.

Pappflugzeuge und Kartonpanzer

Wieder ein Kinderzimmer, BRD 2010. Bunte Kartons fliegen durch die Gegend, alle rennen und kreischen. Pappflugzeuge kreisen, ein Kartonpanzer planiert den Fußboden, Panzersperren klemmen sich zwischen die Menschen. Dieser Krieg ist wesentlich professioneller als mein Kinderzimmerkrieg. Es sind ja auch andere Zeiten und die Kinder sind echte Profis, man könnte auch sagen: Erwachsene.

Einer von ihnen stellt sich vor. Er heißt Alex und führt mit einer Art Anmoderation in den Abend ein – könne man überhaupt noch zwischen Zivilisten und Soldaten unterscheiden? Das Kinderzimmer ist eigentlich eine Bühne. Das Prinzip aber bleibt das Gleiche: Der aufgedrehte Alex und seine Freunde spielen Krieg. Sie haben ihre Spielsachen und Instrumente dabei und drehen so richtig auf. Genau wie meine Brüder und ich damals, haben sie Sätze einstudiert, sie lesen auch hin und wieder etwas vor. Ziemlich genial sind ihre Soldaten: aufrecht stehende Regenrinnen mit einem Eimer obendrauf.

Kriegslabor

Das WARLAB, so der Name des Bühnenkinderzimmers, ist das neue Projekt von andcompany&Co. Kein fertiges Stück, sondern eine Skizze, die das internationale Performance-Kollektiv dem Publikum am Dienstag und Mittwoch im HAU 3 zur Diskussion stellte. Ausgangspunkt für dieses work in progress ist die Auseinandersetzung mit der Theorie und Praxis neuer und alter Kriege. Wichtige Reibeflächen sind Brechts Fatzer-Fragment und seine Kriegsfibel. Im Sommer gehen andcompany&Co. mit Fatzer nach Brasilien. Die Operation heißt: FATZER BRAZ!
 

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