Das "Go West"-Festival des Staatstheaters Oldenburg zeigt vitales Theater aus Flandern und Holland

Die spanische Inquisition ist zurück. In der Exerzierhalle des Staatstheaters Oldenburg tragen die Kardinäle rote Roben, gefertigt aus dem ausrangierten Hauptvorhang des Großen Hauses. Seine "Schuld" gestehen, gefoltert durch den nervenaufreibenden Ton eines einsaitigen Papp-Monochords, soll im Stück "Der kommende Aufstand" der holländische Schauspieler Vincent van der Falk, Mitglied der freien Theatergruppe Andcompany & Co.

In der Koproduktion mit dem Theater spannt die Truppe einen weiten theoretischen Bogen von Schillers historischer Schrift "Der Abfall der Niederlande von der spanischen Regierung" über des Dichters "Don Karlos" bis zu Texten des kämpferischen antikapitalistischen Internet-Essays "Der kommende Aufstand". Im Kontext der Occupy-Wall-Street-Bewegung wird an die "deutsche Occupy-Bewegung in Holland vor 1945" erinnert, die ein sehr gutes Deutsches Theater in Den Haag betrieben habe.

Konkret geht es der Andcompany & Co um den aktuellen politischen Kampf der Freien Theaterszene in Holland gegen Etatkürzungen durch die Mitte-rechts-Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte (VVD). Mit Anspielungen auf ein Zitat des ungeliebten Regierungschefs geizt das Ensemble aus neun Männern nicht. Die Künste stünden mit dem Rücken zum Publikum und mit dem offenen Geldbeutel zum Staate, wird Rutte zitiert. Immer wieder ermahnen daher die Darsteller einander, nicht mit dem Rücken zum Publikum zu spielen. Der Chor der Neun übt mit dem Publikum erfolgreich das gemeinsame Sprechen und kollektive Gestikulieren. Hier findet die Methode des Regisseurs Volker Lösch, Laienchöre von Arbeitslosen oder Hartz-IV-Empfängern auf der Bühne zu platzieren, direkt im Saale statt. Inhaltlich wohlmotiviert, denn die bürgerliche Freiheit muss schließlich auch jeder Theaterbesucher verteidigen.

Nach Angaben der betroffenen Künstler werden die Etats für die Freie Szene in Holland um ein Drittel gesenkt, was die Gefahr der Abwicklung von Produktionsstätten heraufbeschwöre. Die Forderungsliste des Marquis von Posa geht daher bei der Uraufführung in Oldenburg über die Gedankenfreiheit hinaus: "Sire, geben Sie Informationsfreiheit, geben Sie Assoziationsfreiheit!"

Ist auch nicht ganz Holland in Not, so doch seine Künstler. Dass aus dem bunten Performance-Spektakel in der kreativen Klapp-Palastbühne von Philipp dem Zwoten (Bühne: Jan Brokof & Co) kein langweiliger Protestabend, sondern eine quicklebendig zwischen Klassik und Comedy changierende Inszenierung wird, ist dem fruchtbaren Spannungsverhältnis zwischen hoher Sprech- und Schauspielkunst der Staatsschauspieler (Hartmut Schories als Phillip II. von Spanien und Rüdiger Hauffe als Don Karlos) und dem direkten Spielstil der Akteure der freien Szene zu danken.

Die Uraufführung von "Der kommende Aufstand" stand am Beginn eines fulminanten "Go West"-Festivals am Staatstheater Oldenburg. Generalintendant Markus Müller und Chefdramaturg Jörg Vorhaben lieferten mit zehn aktuellen Produktionen aus Flandern und Holland den Beweis: Auch wenn Regisseure wie Alize Zandwijk und Luk Perceval längst etablierte Größen der deutschen Staatstheaterlandschaft sind, brodelt es von unten weiter. Die Freie Szene hat nichts von ihrer Intensität und Vitalität verloren, bleibt einer der Innovationsmotoren der europäischen Theaterlandschaft.

Autor

Stefan Grund