Fette Braten! Keine Bonbons!

Ich will im Theater nicht zur Zitat-Hatz genötigt werden. Vielleicht hätte sich hier und da noch was erschlossen, wenn ich dies oder das noch erkannt hätte. Aber es ist mir egal. Referenzüberschuss darf nicht unangreifbar machen. Ich will auch nicht dabei zusehen, wie sich die Postmoderne selbst abfeiert. Trash allein ist nun mal Müll und nicht der erlösende Ausweg aus der Theater-Behauptung. Wenn sich ein Mensch auf der Bühne mit Haut und Haaren selbst entäußert, kann es sinnlich, fantastisch, intellektuell, körperlich oder emotional überfordernd sein. Wer es wagt, etwas von sich zu geben, kann möglicherweise gewinnen.

Wenn aber andcompany&Co. in "Pandämonium Germanicum: Lenz im Loop" selbstgefällig ein paar Zitatklumpen aufsagen und den Hipster geben, habe ich das unangenehme Gefühl, uneingeladen auf der falschen Privatparty gelandet zu sein. Wer nichts von sich gibt, hat schon verloren.

Auch Selbstironie kann nicht unangreifbar machen. Die Performer bezeichnen sich gegenseitig als Nachahmer von Meese oder Schlingensief, vor meinem inneren Auge klopfen sie sich kotzbrockig auf die Schulter über den Meta-Meta-Witz. Es ist die andauernde präventive Vorwegnahme möglicher soziologischer Einwände, die zwanghafte Suche, welcher postmodernistischen Kritik man im Vorübergehen noch den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Wer so darauf bedacht ist, theoretisch nichts falsch zu machen, macht halt praktisch nichts richtig.

"Pandämonium Germanicum" ist eine traurige theoretische Konsequenz: Korrekterweise kann man schon lange nicht mehr ernsthaft behaupten, es stehe jemand anderes auf der Bühne als man selbst. Man kann aber auch keine neuartigen Aktionen mehr vollbringen, da alles schon dagewesen ist; darüber hinaus stecken wir auch noch fest in dem ganzen Schlamassel, gefangen im eigenen Verstand. Und selbst diese Erkenntnis haben schon Leute wie Pollesch erfolgreich auf die Bühne gebracht!

Bleibt nur die Flucht nach vorne: Man kann ja immerhin noch Pollesch-Zitat werden! Oder das Zitat, wie andcompany&Co. Pollesch zitieren, oder…

So plumpsen diese Kopftotgeburten (u.a. aus Mixen von Lenz und Bernward Vesper, von Georg Büchner und Jochen Distelmeyer) mit ihren Diskurs-Airbags auf die Bühne und haben es nicht mal nötig, sich zu Situationen oder Szenen zu entwickeln, sondern werden einfach runterchoreographiert.

Anstelle eines fetten Bratens wird mir gnädig eine Insider-Andeutung nach der anderen zugesteckt, wie Bonbons, bei übermäßigem Verzehr abführend. Unter der arroganten Gewissheit, eine absolut wasserdichte Diskurs-Folie produziert zu haben, ist das Theater längst im Schlick erstickt. Da erscheint es mir auf einmal so erstrebenswert, sich angreifbar zu machen.

Autor

Matthias Weigel