Generation Mauerfall

Mit „Mausoleum Buffo" präsentiert „Andcompany" mitreißenden Agitations-Pop. Abschluss der Ost-West-Trilogie. Rosa Luxemburg steht neben Zappa, Castro neben Elvis.

Lenin? Lebt! Lennon? Lebt! Dutschke ? Lebt! Zum Schluss von „Mausoleum Buffo" lässt andcompany ihre Helden mu­sikalisch hoch leben und Frontfrau Nicola Nord singt sich die Kehle aus dem Leib – großartig! Ein mitreifgender Agitations-Pop, der die ideolo­gischen Ost-West-Demarkati­onslinien des kalten Krieges überbrücken will: Rosa Lu­xemburg steht neben Zappa, Castro neben Elvis. Warum auch nicht? Den „großen" Ideologien und ihren Vertretern kann sich die Thea­tergruppe vorbehaltslos nähem. Denn sie gehört zur „Ge­neration Mauerfall", die aus dem einstigen Wettrüsten um die Kopfe auszusteigen ver­sucht, die den realen Sozialis­mus und die Kommunisten­verfolgung der „Generation Mauerbau" allenfalls in ihren Niedergangen erlebt hat. Bei­des, allerdings, hat das Perforfmer-Kollektiv schon in zwei Stücken („Little red play" und „Time Republik") so geistreich wie irrwitzig verarbeitet, „Mausoleum Buffo" ist der Ab­schluss dieser Trilogie.

Und die erzahlt ihre eigene Geschichte vom Aufstieg des Sozialismus und russischen Burgerkrieg. Der stalinistische Terror ist eigentlich kein Stoff für einen „Buffo", also eine bewusst Überzeichnete Opernfigur, die das Publikum zum Lachen bringen soll. Oder doch? Andcompany verpacken die blutige Auseinandersetzung zwischen den Glaubenssyste­men von Bolschewiken, Stali­nisten und Trotzkisten in eine musikalische Marchenform: Lenin liegt in einem riesigen Bühnensarkophag im Hinter­grund, Stalin taucht auf mit uberdimensionierten Eierkopf und Walrossschnauz, der Er­zahler (Alexander Karschnia) stellt sich mit großen Mickey Mouse-Ohren ans Mikrofon.

Das Arrangement aus absurden Masken, Performance und genialistisch-minimalistis cher Musik erinnert dabei an eine berühmte Avantgardegruppe aus San Francisco, die in den 70er und 80er Jahren beson­ders durch ihre „Eyeball"- Köpfe und abstrusen Ge­schichten auffiel: „The Resi­dents". Andcompany haben jedoch ihren eigenen Stil, streuen in ihr Stuck eine hal­bernste philosophische Runde ein, ob Stalin der Quentin Tar­rantino der 30er Jahre sei und befragen ihre privaten Glau­benssysteme: Ist das westliche Konzept der Ersatzfamilie nicht auch ein bisschen Sozia­lismus?

Denn die vier Performer haben vor allem eine politische Botschaft: „Es ist nicht wichtig, wer zuerst da war, sondern wer dran bleibt", uberlegt Erzähler Alex – wiegt den „realen" Sozialismus gegen den „wahren" ab. „Mausoleum Buffo" legt damit ein Stuck Utopie frei, das Stalin und kal­ter Krieg verschtittet haben.
Ein paar „Versprengte" nur, vielleicht 20 Gaste, finden zur Premiere in den Ringlok­schuppen. Und man fragt sich, wo die „Theaterstadt Mül­heim" geblieben ist, die mal wieder eine der inspirierendsten Performer-Gruppen der Freien Szene verpasst hat.

DENNIS VOLLMER

Autor

Dennis Vollmer

Veröffentlicht

WAZ, 2009-03-02