Gut gekaut ist halb verdaut

Wäre es so, wie die Andcompany ihr neues, deutsch-brasilianisches Projekt ankündigt, müsste nun ein bizarrer, blitzgescheiter Wechselbalg im Har3 umhertollen. Jedenfalls etwas Neuamalgamiertes, Ungesehenes. Denn "Fatzerbraz", so die Auskunft, ist eine "anthropophagische Performance", die nicht nur Texte wie Brechts "Fatzer", Mario de Andrades Urwaldheld "Macunaima" und Oswaldo de Andrades "Anthropophagisches Manifest" (alles um 1928) miteinander verknüpft, sondern ganze Kulturtechniken verschmilzt. Das Schlagwort der "Brasilianisierung" fällt, das ein neues, soziales Bewusstsein meint und mit dem Prinzip der "Kannibalisierung" eine neue Wundermethode kultureller Belebung in Aussicht stellt: sozialrevolutionäre Metamorphose durch freundliche Einverleibung und Umverdauung des "Feindes".

Hierzulande nennt man das schlicht "Bearbeitung", aber: "Kultur fressen, statt von ihr gefressen werden", klingt einfach besser, weshalb man den Gießener (nein, Frankfurter! Aber schon seit 2008 Wahl-Berliner, Anm. d. Red.) Performern ihre PR auch nicht übel nimmt. Was man im Hau3 aber erlebt, ist eigentlich nicht mehr, als ein munter zusammengeklebter, spiellustiger "Fatzer"-Abend der von dem komödiantischen Talent zweier brasilianischer Spielerinnen bereichert wird. Aber von ungekannter Brecht-Umverdauung: keine Spur.

Viel Bast hängt im Raum und Papppalmen wachsen vor einer mit historischen Fotos beklebten und indianischen Mustern und Fetischen übermalten Wand, die die Bühne als Collageraum auszeichnet. Zwei Musiker an Geräuschpulten sorgen mit Blecheimern und Synthesizern für herrliches Klappern, Klingeln und Rauschen, wie es im Urwald so üblich ist und im darbenden Mühlheim, wo die vier "Fatzer"-Deserteure auftauchen. Sie haben die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges verlassen, um als Revolutionäre Unruhen im eigenen Land anzuzetteln, weshalb sie im Hau3 postmodern getarnt hinter Brecht-Masken auftrippeln. Bald wechseln diese Masken in Plastiktierköpfe und mischen so zumindest kostümtechnisch den indianischen Blick in die Mission. Denn die Brecht-Frage bleibt gleich, in Mühlheim wie Brasilien: Erst Fressen oder Moral?

Pappwürste und Pappmenschenarme werden an Angeln vor den drei hungernden Denkern herunter gelassen, denn einer, Fatzer, hat sich längst fürs Fleisch entschieden. Darin gleicht er dem brasilianischen Mythenheld Macunaima, der sich auch einst aus dem Urwald aufmachte, das Glück zu finden, doch winkt der nur kurz über die Mauer. Kein Zweifel, dass die Andcompagnons mehr Sympathie mit diesem Macunaima/Fatzer haben, dem "etwas Unvernunft bitte!" lieber ist, als ein "Magen mit Gehirn". Doch bleibt "Fatzerbraz" ganz brechttreu dialektisch, was dem Abend bei aller Kasperletirade schöne Spannung lässt. So köchelt hier ein bunter Eintopf aus Lehrstück, grotesker Politrevue und Sambazug auf, der politisches Theater nicht neu erfindet. Aber kostenswert ist er.

Autor

Doris Meierhenrich