Orpheus an der Außengrenze der EU
Hießen die nicht früher Fluchthelfer? Das Kollektiv andcompany & Co. zeigt seine spannende „Schlepperoper“ unter dem Titel „Orpheus in der Oberwelt“.
Der Ort des Geschehens ist der mythologisch besetzte Fluss Evros an der griechisch-türkischen Grenze. Allgemeiner geht es um die Außengrenze der EU, vor allem das Mittelmeer, in dem nach unterschiedlichen Schätzungen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten 20 000 bis 80 000 Menschen umgekommen sind – ein anhaltendes Skandalon.
Als ,,Schlepperoper“ deklariert das vor elf Jahren in Frankfurt gegründete internationale Performancekollektiv andcompany & Co. das Stück „Orpheus in der Oberwelt“, das am Wochenende nun im Mousonturm zu sehen war, nach der Premiere am Berliner HAU im Oktober. Der Gattungsbegriff Singspiel wäre treffender gewesen. In der Hauptsache wird gesprochen, die Szenen reihen sich als Revue mit musikalischen Einlagen.
Mythologie und Trash
In dem mythologisch durchwirkten Spiel mit Trash-Charakter gibt das sechsköpfige Ensemble – darunter Mitbegründer Alexander Karschnia, der mit Nicola Nord den Text geschrieben hat – zunächst den Schleppern eine Stimme: als Wechsel der üblichen Perspektive. Alles nur Halsabschneider? Es wird daran erinnert, dass es zu Zeiten der DDR üblich war, Menschen dieses Berufsstands als ,,Fluchthelfer“ zu titulieren. Klingt gleich anders. Ehrenhaft. Geld wurde damals allerdings auch genommen. Warum auch nicht? Schließlich kann saubere Arbeit erwartet werden und es entstehen Kosten.
Die Musik bedient sich eines raffinierten Wechselspiels der Vermischung und Trennung von disparaten Stilen. Links ist der Komponist und Mitbegründer Sascha Sulimma mit elektronischem Gerät postiert, gegenüberliegend ein Instrumentaltrio um die Blockflötistin Susanne Fröhlich, den Cellisten Simon Lenski und Reinier van Houdt an Synthesizer und Cembalo. Elektrobeats geben den Grundton vor.
Claudio Monteverdis Arien werden zitiert, es klingt die Tradition des deutschen Kunstlieds an und der Songstil von Brecht/Weill sowie Hanns Eisler mit seiner proletarischen Marschmusik. Die Musik ist allzeit stilsicher, einen übergreifenden dramaturgischen Bogen lässt sie allerdings missen.
Es ist ein stetes Changieren zwischen einem ironisch-spielerischen Humor und einer nüchternen Klarheit der Fakten, mitunter scheinen Spuren eines aggressiven Pathos durch. Es gibt viel Applaus am Ende, natürlich ist der Saal mit einem kritisch-aufgeklärtem Publikum besetzt. Aufgerüttelt werden müssten eigentlich andere. Das aber ist die Krux des politisch motivierten Theaters – und heißt nicht, dass man es bleiben lassen sollte.