Selberdenken macht klug
Neues von Karl Marx: andcompany & Co. mit "West in Peace" im HAU 3
Waren Indianer die besseren Kommunisten? Und wohnen sie heute alle in der Schweiz? Aber reiten sie nicht seit jeher von Bad Segeberg aus gegen den Kapitalismus? Oder reiten sie für ihn? Fragen, die sich die fünf Cowboy-Indianer des Performance-Kollektivs andcompany & Co. an die Köpfe werfen, während sie auf ein Lagerfeuer aus Glühbirnen starren. Sie haben im HAU 3 ihr Zeltlager aufgeschlagen und mit ihm eine wilde Papplandschaft aus Saloon-Interieur, AKW-Gelände, Eisenbahn-Wasserstation, Marterpfählen, an denen Geldbeutel wachsen. Und natürlich bleiben alle Lagerfeuer-Fragen unbeantwortet. Stattdessen geht immer wieder das Licht aus und ein Geldeinwurfautomat blinkt zum erneuten Einwurf eines Euro auf, damit das witzig-dämliche Karl-Marx-Karl-May-"Rüberauschtheater" weiter gehen kann.
Mit "West in Peace" versuchen andcompany & Co. das, was sie seit ihrer Gründung 2003 eigentlich in jedem Projekt betreiben, nämlich eine Relektüre des Marxschen "Kapitals" und anderer sozialistischer Gründungstexte unter Zuhilfenahme einer ganzen Spielkiste aktueller, geschichtlicher, literarischer Bausteine als Verfremdungseffekte. Diesmal wäre der Begriff "Tarnung" angebracht, wären nicht alle Zuschreibungen, die man diesem extra trashigen, extra kindlichen Anreißtheater gibt, unzutreffend. Denn "West in Peace" will gar nichts anderes sein als ein abgehalfterter "Western von gestern" im Grenzland zwischen dem bösen "Ardistan" (West) und dem geheimnisvollen "Dschinnistan" (Ost), in dem sich der Ramschkapitalismus von gestern, heute und morgen spiegelt und zugleich die Verheißung einer anderen, idealen Kommune aufscheint – was schon tausend Mal so geschehen ist. Andcompany & Co. Abgestandenes vorzuwerfen, ist deshalb eigentlich sinnlos.
Und dennoch muss man es tun. Denn was ihr Collage-Theater eigentlich vorhat, nämlich durch das ungeordnete Gegeneinanderschießen geistes- und kulturgeschichtlicher Fragmente, Gegenwart und Geschichte neu zu denken, vollzieht sich hier kaum. Der ganze Abend schnurrt so ab wie die Szene des Cowgirls Red Rat, alias Nicola Nord, die einen Ball gegen einen Gong werfen will, doch immer wieder nur die Luke daneben trifft, aus der dann – wie der Kuckuck aus der Wanduhr – ein Cowboykollege schnellt und schimpft: "What the hell!". Er könnte auch gleich rufen: "Think yourself!". Doch solche Direktheit verbietet sich, obwohl es sonst recht grob zugeht im Camp.
Dennoch kann auch dieses Automaten-Theater witzig sein. Dann nämlich, wenn Nicola Nord plötzlich als Fremdenführerin durch diverse Hitlerbunker und "Bunker in Bunkern" führt, wobei sie ihre löchrige Führungs-Rede gespickt mit Schlagwörtern wie "Stahlnetz", "Beton" "am sichersten" immer wieder mit dem pädagogischen Warnruf "Hallo!" unterbricht und damit das Publikum selbst zum Mitdenken ihrer Sicherheitsgrenzen antreibt.