Sinn und Unsinn liegt nah beieinander

Dortmund. Während die rote Sonne, vielleicht zum letzten Mal, hinter dem Atomkraftwerk versinkt, spielt eine Handvoll Künstler auf Brettern, die manchmal die Welt bedeuten – ja, was? Sie spielt Indianer.

Das ist nicht schlimm, Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, hat ja auch mit Indianer-Fantasien angefangen.

Hier heißen die Akteure andcompany&Co, also nicht End-Company (oder doch?), das Theater, in dem sie spielen, ist das im Depot an der Immermannstraße, der Auftrittsanlass das Festival favoriten2010. Bei dem hat andcompany vor zwei Jahren sogar einen Preis erspielt. Damals hieß das Stück „little red“. Dieses hier ist „West in Peace“. Oder eben: der letzte Sommer der Indianer.

Es beginnt holprig

Es beginnt holprig, kuddelmuddelig irgendwie, merkwürdige Masken und Kostüme. Chaotisch, doch voll unerklärlicher Komik, vorausgesetzt, man akzeptiert diese Ästhetik einer scheinbar ungewollten Disziplinlosigkeit auf der Bühne. Zelte wie hingeworfen, Western-Bar „El Dorado“, weiße Pappen als Kulissen (das Akw), ein Sarg als Pforte. Ach ja, das Spiel kann überhaupt nur starten oder weitergespielt werden, wenn jemand aus dem Publikum mal ‘nen Euro in den Automaten tut.

Isolierte Zutaten, doch langsam wird ein Zusammenhang, ein Thema, ein Stück daraus. Die Indianer sind nicht irgendwelche, sondern die, von denen die Ossis geträumt haben. Also Ideologie-Indianer. Aber war nicht Karl May auch einer? Ein Ossi, meine ich.

Und der andere Karl, der Marx? Der kommt als Riesengartenzwerg angerutscht (oder besser als Riesengartengnom, da ist ein Unterschied, aber welcher?). Er erzählt, leicht genervt, was vom Wert der Waren, was von Geld und Gold (das immer Nazi-Gold ist) — oder war das vielleicht doch der May? Egal, im Ensemble um Alexander Karschnia weiß man das auch nicht so genau.

Es wächst mehr und mehr zusammen

Mehr und mehr wächst dafür zusammen, was zusammengehört. Das beginnt mit zahlreichen Wiederholungen einzelner Momente, Theater wie aus dem Automaten eben, und führt zu zwei großen Szenen von bleibendem Wert beziehungsweise Unwert.

Das eine ist eine große Wolfsschanzen- und Hitler-Tourismus-Szene mit O-Ton polnischer Reiseführer, zufällig aufgeschnappt während eines Theateraufenthaltes in Masuren. Die andere Szene, eine Sprechcollage, besteht aus einer Reihe alter Polit-Parolen der 68er-Zeit – „Wer hat uns belogen? Sozialpädagogen!“ Andcompany verfügt über eine beachtliche Sammlung solche Sätze, ist aber dankbar für jeden neuen Zu-Spruch. Allein dieses Material könnte einen eigenen Abend füllen.

Eine fast flüchtige Botschaft

Sinn und Unsinn immer nah beieinander. Ein schüchtern erhobener Zeigefinger, eine klitzekleine, fast flüchtige Botschaft dann aber doch, ganz am Ende. Die Vergangenheit. Eine Handlungsanweisung, hilfreich fürs Anpacken der Zukunft, lernen wir, ist die Vergangenheit nicht.

Aber als Erinnerung, immerhin das, taugt sie sehr wohl.

Hat Spaß gemacht.

Autor

Rainer Wanzelius