Über falsche Utopien

Dokumentarisch und politisch – die ersten Inszenierungen des Festivals „Freischwimmer“ für junges Theater im FFT-Juta: „little red (play): ‚herstory’“ und „Plutos – Gott des Geldes“.

Wenn die ersten Bilder der ersten Inszenierung des Festivals „Freischwimmer“ für junges Theater zu fließen beginnen, wähnt man sich in einem surealen Spielzeugland. Zum Fahrstuhlmusik-Gedudel hüpfen und laufen in „little red (play): ‚herstory’ Männchen mit großen roten Köpfen auf und ab, aus dem Boden wachsen Schriftzüge, Uhren laufen vor- und rückwärts. Kaum zu glauben dass dieses Theater so ungemein viel mit unserer Wirklichkeit zu tun hat. Thema des diesjährigen, bereits zum dritten Mal auch im Forum Freies Theater stattfindenden Festivals ist die Beschäftigung mit dem falschen Versprechen eines immer währenden Fortschritts. Die Truppe um die Düsseldorfer Performerin Nicola Nord suchte sich dazu eine unerfüllte Utopie der Vergangenheit und erfüllt mit ihrem Stück quasi einen dokumentarischen, gesellschaftspolitischen Auftrag: Das Ensemble sprach mit überzeugten Kommunisten über die Vergangenheit und stieß dabei auf eine Gegenwart, in der es scheinbar keine Zukunft mehr gibt. Auf der Bühne verkörpert Nord diese illusionslosen Interviewpartner durch die Figur des „little Red“, dessen Utopien von einem sozialistischen System im Hier und Jetzt keinen Ort mehr haben, und der deshalb unablässig versucht, gegen die Zeit anzurennen.

Aus Fakten und Fiktionen kreiert das Ensemble ein abwechslungsreiches Spiel zwischen Tanz-, Musik- und Sprechtheater. Aussagen aus den Interviews vermischen sich mit Zitaten von Karl Marx, bis Walter Benjamin oder den Verhören aus der Zeit der amerikanischen Kommunistenjagd der McCarthy-Ära.

Immer wieder stellt das Ensemble spielerisch eine Verhörsituation dar, spricht über die DDR, die Revolution, Religion und Propaganda.

„Wo fängt Propaganda an? Damit, dass man Schülern eine andere Welt entwirft?“ Ähnlich wie die berühmte britische Performancegruppe Forced Entertainment das in ihrem Spiel „Quizoola“ tut, erzeugen Nord und Co. damit Ambivalenzen, die den Zuschauer zu einer Stellungname zwingen. Ungemein spannend und anregend.(…)

Autor

Max Florian Kühlem